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"... und wenn die nicht reisen, nicht zum Kunden gehen können, holen die auch keine Aufträge."

Das ist ein Originalzitat eines deutschen Vorstandsvorsitzenden aus dem Maschinenbausektor, vor etwas mehr als 10 Tagen live gesendet in der letzten TV-Ausgabe von Plus/Minus. Dieses Zitat nicht genauer zu erklären wäre unsauber. Als Interessenwecker hat es seinen Dienst getan - jetzt das Ganze im Zusammenhang. Der Satz fiel in Verbindung mit Geschäften mit China und ich habe keine Erfahrung mit Geschäften mit China - abgesehen von AliExpress - dem chinesischen Amazon für Sparen mit Risiko.

 

Was mir einen Stich versetzt hat, als ich das hörte, war das Jammern. Nun wird man nicht Vorstandsvorsitzender, wenn man eher jämmerlich unterwegs ist. Deshalb kamen mir zwei Fragen in den Sinn:

 

  • wie kommt so eine Aussage zustande?
  • welche Wirkung hat sie?

 

Zu Frage 1: Die Geschäfte mit China waren in der Tat fast eingefroren, daraus haben sich für manche Unternehmen nie da gewesene Umsatzeinbrüche ergeben. Das hat das Controlling fein zusammengestellt und der Vertrieb wurde nach den Ursachen gefragt - und da kommt vermutlich die Antwort her: "Wir konnten nicht reisen!"

 

Ich habe mir in dem Moment für mich, für die Mitarbeiter des Unternehmens, ja sogar für alle Unternehmer in Deutschland eine andere Botschaft gewünscht, die in etwa so hätte lauten können: " Unsere Umsätze brechen ein und wir arbeiten im Moment mit Hochdruck an Strategien, wie man auch ohne Reisen Verkaufen, Verhandeln und Geschäfte zum Abschluss bringen kann. Und hier ist besonders unser Vertrieb gefragt, mit neuen Ideen und Strategien die Herausforderung der neuen Rahmenbedingungen anznehmen."

 

Einstein hat einmal gesagt, "wer nur eine Lösung für ein Problem hat (oder nur eine Ursache sieht - Anmerkung des Autors), hat das Problem noch nicht verstanden."

 

Zu Frage 2 - zur Wirkung: wenn der Chef sagt, verkaufen geht nicht, weil die Reisebüros gerade Mittag machen ... dann ist die Carte Blanche gespielt. Dann wissen alle: einfach abwarten, bis die Flieger wieder fliegen und ansonsten Bestandskundengeschäft. Ist eh netter, weil da kennt man sich aus, da ist man beliebt und da schmeckt der Kaffee wie zuhause. Und Neukunden-Geschäft geht ja bei den anderen auch nicht. Oder doch? Wenn man die Neukunden dem Wettbewerb überlassen kann ohne Auswirkung auf den eigenen Marktanteil und man genügend finanzielle Reserve hat, um bis zum Ende der Krise vom Bestandskundengeschäft zu leben, ist das eine durchaus valide Strategie. Nur die fehlende Antwort auf die Frage, wann die Krise zu Ende ist, könnte zartere Gemüter ein wenig nervös machen. Zugegeben, das war jetzt böse. Und ich möchte betonen - gute Vertriebler agieren so nicht.

Das Problem liegt woanders. Veränderung kostet Geld und Geld ausgeben wo keins hereinkommt, das ist schlimmer als Zahnschmerzen. Es ist das alte Thema der antizyklischen Strategien, die uns für die Krise wappnen können. Doch Revolutionen kamen selten von oben. Das wissen wir aus der Geschichte. Deshalb ist es am Vertrieb, um die Budgets für Veränderungen zu kämpfen und sich trotz aller zusätzlichen Umstellungen im Tagesgeschäft dafür Zeit freizuschaufeln, sich neben der Tagesroutine heute einen Vorsprung zu erarbeiten für das, was da an Rezession weiter voranschreitet.

 

 

Aber warum und warum gerade der Vertrieb? Es gibt mehrere Gründe:

 

  • Wir werden heute und morgen, so wie es aussieht, nicht mehr so verkaufen und verhandeln können wie gestern. Absatzmärkte und Kundenverhalten sind dabei sich radikal zu verändern und gleiches gilt für Abhängigkeiten und Kommunikation. Das erfordert neben neuen Strukturen, Prozessen und neuen Formen der Führung auch neue Kompetenzen - konkret neue Verkaufs-, Verhandlungs- und Kommunikationskompetenzen.

 

  • Was da auf uns zukommt, ist zum Teil Neuland, das wir im Moment mangels Erfahrung mit altem Gerät beackern, wenn díe x-te Kaufprämie für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor ausgelobt wird. Lock-Down war noch einfach, weil alle gleichermaßen mitziehen mussten. Aber Lock-On wird aus meiner Sicht zu Verwerfungen führen, die wir noch gar nicht einschätzen können. Deshalb gibt’s auch kein richtig und falsch. Aber abzuwarten („bis man wieder reisen kann“ - den konnte ich mir jetzt nicht verkneifen) halte ich für gefährlich. Damit sägt der Vertrieb am eigenen Ast. Wer jetzt das tut, was er immer tut, wird nicht mehr das bekommen, was er immer bekommt, sondern weniger.

 

  • Selbstschutz: Die Gleichungen Vertrieb = Umsatz und Budgets = Geschäftsleitung harmonieren nicht. Die Geschäftsführung hat eine breiter ausgelegte Verantwortung und damit auch den Blick wie durch ein Weitwinkelobjektiv.  Deshalb muss der Vertrieb den Fokus aktiv auf seine Probleme lenken, sich für Veränderungsbudgets einsetzen, kämpfen, überzeugen. Leider höre ich in meinen Kaltakquisegesprächen mit Vertriebsleitern aktuell  Sätze wie "da haben die im Moment kein Ohr für" oder "wir reden, wenn die Krise vorbei ist". Meine Erfahrung dazu: dieselbe Geschäftsleitung, von der man glaubt, ja fast schon gewiss weiß, dass sie heute kein Ohr dafür hat, wird in 3 Monaten fragen, was denn im Vertrieb verändert wurde, damit er als Speerspitze des Unternehmens auch unter den neuen nicht mehr so guten Bedingungen gute Ergebnisse liefert. Und GUTE Geschäftsführer werden dann eine weitere Frage stellen: "Warum haben Sie mich denn nicht gefragt?" Und noch BESSERE Geschäftsführer werden jetzt fragen, wer was braucht, um die Krise zu meistern.

 

Im Moment ist für viele Unternehmen schwer vorstellbar, Geld auszugeben, wo keins reinkommt. Aber diese Vorstellung ist Komfortzone - und von der verabschieden wir uns bereits im sozialen und gesellschaftlichen Bereich. Wäre es nicht geradezu logisch, das auch im beruflichen/wirtschaftlichen Umfeld zu tun - bevor die Komfortzone sich von uns verabschiedet?

 

Haben Sie Lust, die Komfortzone zu verlassen? Richtung Gipfel! Dann lassen Sie uns aufbrechen...

 

Vor uns - auf dem Weg zum Gipfel - liegt eine unbekannte Landschaft. Es gab wetterbedingt eine erzwungene Rast. Die Sicht ist im Moment eingeschränkt. Die Route  ist nicht so klar wie sonst zu sehen. Ein kurzes Aufreißen des Himmels vor der nächsten Gewitterfront schafft eine kurze Übersicht. Einige Wege scheinen durch umgekippte Bäume versperrt. An anderen Stellen haben sich Seen gebildet, wo es vorher Wege gab. Keiner hat Erfahrung mit den neuen Umgebungsveränderungen und die ursprüngliche Routenplanung passt nicht mehr. Einige stehen, andere haben sich schon auf dem Weg gemacht, manche schauen irritiert in die Richtung, aus der sie gekommen sind - würden gerne weiter nach dem alten Plan zum Gipfel. Dabei ist für jeden klar, warten auf bessere Wetterbedingungen geht nicht, weil die Rationen nicht ewig halten werden…

Macht es jetzt Sinn sich Zeit zu nehmen für folgende Fragen

 

  • Was sind im Moment die größten Herausforderung für unser Team/unsere Firma, um den Gipfel zu erreichen?
  • Reichen die bisherigen Techniken und Kompetenzen aus, um die aktuellen Hindernisse zu überwinden?
  • Wie können wir das richtige Tempo finden?
  • Gibt es Möglichkeiten, kürzere oder auch lohnendere Wege zu erschließen?
  • Welche Ausrüstung und welche Kompetenzen braucht unsere Firma, um auf dem Weg voranzukommen?
  • Was ist schon da? Was müssen wir neu beschaffen. Wo können wir ergänzen?
  • Wie können wir Kontakt halten und gestalten bei unklaren Sichtverhältnissen, gesunkenen Temperaturen, unübersichtlichem Gelände und unterschiedlicher Ausrüstung? 
  • Wie können wir die Bereitschaft wecken und Vertrauen schaffen, dass es sich für Kunden, Mitarbeiter, Führungskräfte, Lieferanten lohnt, den ungewohnten Weg mit uns zu gehen?
  • Wie können wir uns dabei gegenseitig noch besser unterstützen? 

 

Und: dürfen wir auch Fragen stellen, für deren Umsetzung Budget benötigt wird? Obwohl Aufträge weggebrochen und Ressourcen knapp sind? Ich weiß, wie ich das für mich beantworte. Wissen Sie es auch?

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